01.10.2014
   

4. DIQ-Symposium

Mensch - Maschine – Wo liegen die Schwierigkeiten?

Die Referenten des 4. DIQ-Symposiums zusammen mit Präsident Peter Schuler (M.) und Instituts-Geschäftsführer Thomas Koch.

Das autonome Fahren ist derzeit das Lieblingsthema der Automobilbranche. Ihm hat sich jetzt auch das Deutsche Institut für Qualitätsförderung e. V. (DIQ) in seinem 4. Symposium angenommen. Technisch scheint das Fahren ohne Fahrer nicht mehr unbedingt ein Problem zu sein. Wie aber empfindet es der menschliche Körper, wenn er unvorhersehbaren, plötzlichen Richtungswechseln ausgesetzt ist? Und wie geht man an die juristischen Fragen des Themas heran? 

Die Frage nach der Rolle des Piloten beim automatischen Fliegen war der Ausgangspunkt für die Überlegungen von Flugkapitän Thomas Mildenberger. Erfahrung und Training seien für den Piloten unerlässlich, denn er müsse, auch bei einem hohen Grad an Automatisierung, die letztendlichen Entscheidungen treffen, vor allem in Notfällen, so Mildenberger. Eindringlich für die Zuschauer war das Beispiel eines Frachtflugzeuges, das kurz nach dem Start von einer Rakete getroffen wurde und durch den Eingriff der Piloten wieder sicher zum Flugplatz zurückkam. "Die Crew musste sich das Fliegen in Echtzeit neu beibringen." Deutlich wurde dabei auch die extrem kurze Zeit für Entscheidungen und den Eingriff in die Automatik. 

Die Zuhörer des DIQ-Symposiums bekamen von Mildenberger auch noch einen Einblick in die Statistiken zum Thema Sicherheit im Flugverkehr sowie in das Flugzeugcockpit, also den Schnittplatz Mensch - Maschine. Dabei ging er auf die Vor- und Nachteile des automatisierten Fliegens ein.

Automobile Bewegungskrankheiten

Im Vortrag von Prof. Dr. Frank Schmäl ging es um die Empfindungen des menschlichen Körpers beim autonomen Fahren. Schmäl beschäftigt sich in seiner Arbeit am Zentrum für HNO in Münster-Greven mit Kinetose, der sogenannten Bewegungskrankheit. Etwa bis zehn Prozent der Menschen sind sehr anfällig, ebenso sind vergleichbar viele unempfindlich. Beim autonomen Fahren lenkt der Fahrer nicht das Fahrzeug, sondern beschäftigt sich anderweitig, etwa mit einem Tablet-PC. Die Bewegung des Fahrzeuges und damit auch die Eigenbewegung wird optisch nicht registriert – eine schwierige Situation. Schmäl spricht auch von einem Sinneskonflikt zwischen visueller und vestibulärer (Bestimmung der Gravitation und der Beschleunigung) Information. Lösungsansätze für das Vermeiden einer Kinetose beim autonomen Fahren sieht Schmäl darin, die Fahrzeugbewegung visuell zu vermitteln, etwa über einen Monitor.

Ergänzungen dazu kamen von Dipl. Ing. Dominique Bohrmann, Institut für Fahrzeugtechnik der Hochschule Trier. Er stellte Lösungen vor, die in den Fahrzeugen zur Verminderung der Übelkeit, hervorgerufen durch die gleichgewichtsstörenden Bewegungsabläufe, eine positive Wirkung auf die Insassen ausüben. Dazu zählen unter anderem die Sitzposition, Schwingungen des Fahrwerks eliminieren, Neigetechnik im Schienenverkehr, Displays und Innenraum­beleuchtung, Belüftung und Klimatisierung.

Normung und Standards zwingend

Vom Institut für Kraftfahrzeuge der RWTH Aachen University kam Dipl.-Ing. Philipp Themann. Er zeigte in seinem Vortrag den Weg von den Fahrassistenzsystemen zum automatisierten Fahren auf. Die Motivation und Zielsetzung hin zum automatisierten Fahren seien klar, so Themann. Man wolle Fahrspaß bei minimalem Verbrauch, mehr Sicherheit mit weniger Masse und Fahrspaß trotz Intervention von Fahrsicherheit. Am Ende stehe die Vision eines von Emissionen und Unfällen freien Fahrerlebnisses. In seinem Überblick zur Entwicklung der Fahrerassistenz verwies Themann darauf, dass Sensortechnologien die Automatisierung ermöglichen. Detailliert zeigte er die verschiedenen Aufgaben und Funktionen der Assistenzsysteme und deren Zusammenwirken auf. Er erläuterte dabei auch die verschiedenen Automatisierungsgrade von Stufe 0 (nur Fahrer) über Stufe 1 (assistiert), Stufe 2 (teilautomatisiert), Stufe 3 (hochautomatisiert), Stufe 4 (vollautomatisiert) bis zur Stufe 5 (fahrerlos).

Die Absicherung des automatisierten Fahrens muss laut Themann auf gesetzlicher, juristischer, ergonomischer, psychologischer und technischer Ebene erfolgen. Das Ziel muss die Normung und Standardisierung sein.

"Dösen am Steuer schützt wirksam vorm Altwerden"

Wie die Psyche des Menschen mit der Automatisierung des Autofahrens umgeht und welche Dinge aus diesen Erkenntnissen heraus berücksichtigt werden müssen – dazu sprach auf dem DIQ-Symposium Diplom-Psychologe Tobias Ruttke von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Mit einem provokanten Satz des legendären Rennfahrers Juan Manuel Fangio stieg Tobias Ruttke in das Thema ein: "Eines der besten Mittel gegen das Altwerden ist das Dösen am Steuer eines fahrenden Autos." Verkehr sei komplex und dynamisch und mehr als das Fahren von Fahrzeugen. Vergessen werden dürfe auf keinen Fall die Emotion, die direkt das Fahren beeinflusst. Über die Darstellung menschlichen Fehlverhaltens im Straßenverkehr kam Ruttke unter anderem zu dem Fazit, dass menschliches Verhalten mit Fehlern durchsetzt ist und Fehler und Fehlhandlungen ein menschliches Funktions- und Lernprinzip auch im Fahrzeug sind.

Der Psychologe warnte vor einer technikorientierten Zerhackung der Gesamtaufgabe bei der Automatisierung des Fahrens. Die Kontrollierbarkeit der automatisierten Systeme durch den Menschen müsse immer gewährleistet sein. Nicht Kompetenzersetzung, sondern Kompetenzerhöhung und Kompetenzentwicklung des menschlichen Fahrers durch Systemeinsatz sind laut Ruttke gefragt. Für ihn gehören menschliches Denken, Fühlen und Handeln und Fehlhandeln ebenso ins System Verkehr wie die Technik und die Organisation.

Programmierer oder Kfz-Handel – wer haftet bei "autonomen" Crashs?

Am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg beschäftigt sich Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf mit juristischen Fragen, welche die technische Entwicklung im Bereich der Robotik mit sich bringt. Der Rechtswissenschaftler erwähnte in seinem Vortrag, dass das autonome Fahren von großer sozialer Bedeutung sei und es viele gesetzliche Probleme gebe. Er verwies auf die Tatsache, dass Verfassungen nicht den Handel mit neuen technologischen Entwicklungen regele. Es gelte die Freiheit der Forschung. Die Autos werden zunehmend vernetzt, ein Datendownload im fahrenden Auto sei inzwischen Standard. Hilgendorf stellte auch die Frage nach der Haftung bei Unfällen im autonomen Fahrbetrieb. Haftet der Programmierer oder der Autohändler? So gelte etwa bei der europäischen E-Commerce-Richtlinie die Haftung des Händlers.

In seinem Fazit zeigt Hilgendorf auf, dass viele rechtliche Bereiche betroffen sind, etwa das Straßenverkehrsrecht, die zivilrechtliche Haftung, die strafrechtliche Haftung, die Halterhaftung und der Datenschutz. Einige der Probleme können durch Interpretation gelöst werden, andere erfordern neue Gesetze. "Die rechtlichen Probleme des autonomen Fahrens sind alle lösbar", so Hilgendorf.

Auto ganz ohne Fahrer bleibt fraglich

"Ob wir vollautonome Fahrzeuge, die keinerlei Fahrer benötigen, unter unseren aktuellen Verkehrsbedingungen einsetzen können, bleibt vorerst noch überaus fraglich", fasste Prof. Dr.-Ing. Peter König die Beiträge zusammen. Dennoch waren sich alle Experten einig, dass wir schon von den automatisierten Systemen als Vorstufe zum autonomen Fahren deutlich profitieren werden. Diese bedeuten für den Menschen eine wachsende Entlastung bei der Fahrzeugführung und stellen durch die signifikante Verbesserung des Verkehrsflusses, der Energieeffizienz und der Verkehrssicherheit wichtige Schlüsseltechnologien für die Mobilität der Zukunft dar.

"Wie uns im Symposium deutlich vor Augen geführt wurde, reicht die in der Öffentlichkeit häufig sehr technikorientierte Betrachtungsweise der Problematik des autonomen oder automatisierten Fahrens nicht aus. Nur ein umfassenderer, interdisziplinärer Ansatz unter stärkerer Einbeziehung des Faktors Mensch, etwa in den Bereichen Empfinden, Verhalten oder gesellschaftlicher Bedeutung, kann zu Ziel führen", so Koch. Er lud alle Anwesenden zum 5. DIQ-Symposium am 25. September 2015 nach München ein. (vku)

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