13.06.2017
   

Ablenkung am Steuer

Zwischen höheren Strafen und schlauerer Technik

Verkehrsunfall

Hellichter Tag, gute Straßenverhältnisse: Hier kommt Ablenkung als Unfallursache in Frage.

Von Holger Holzer/SP-X

Das Phänomen der Ablenkung durch Technik ist vergleichsweise neu, aber schon weit verbreitet. Einer aktuellen Studie der TU Braunschweig zufolge, in der fast 12.000 Autofahrer in ihrem realen Fahrverhalten beobachtet wurden, tippten etwa 4,5 Prozent am Steuer in ihr Smartphone, weitere 2,2 Prozent nutzten das Gerät ohne Freisprechanlage.

Oft genug hat die Ablenkung schlimme Folgen: Wer sich bei Tempo 100 eine Sekunde lang ablenken lässt, legt 27 Meter im Blindflug zurück. 60 Prozent der Fahrer, die in den zurückliegenden drei Jahren verunfallten, hatten während der Fahrt ihr Mobiltelefon bedient, 350 davon sind 2015 an den Folgen der Kollision gestorben, wie aus einer Studie des Allianz Zentrums für Technik (ATZ) hervor geht. Alkohol forderte im gleichen Zeitraum knapp 100 Tote weniger. Einer der Gründe dafür: Trunkenheitsfahrten sind mittlerweile gesellschaftlich geächtet, nachdem sie lange Zeit als Kavaliersdelikt galten.

Das Tippen und Wischen am Handy hingegen gilt häufig immer noch als lässliche Sünde. Das wollen Institutionen wie der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR), das Bundesverkehrsministerium oder die Polizei mit groß angelegten Infokampagnen ändern. Aktionen wie "Abgelenkt? … bleib auf Kurs!", "Hände ans Steuer – Augen auf die Straße" oder "Finger vom Handy" werden aber wohl, wenn überhaupt, nur langfristig wirken.

Strengere Verbote im Gespräch

Schnellere Abhilfe erwarten sich einige von strengeren Verboten. So denkt das Bundesverkehrsministerium offenbar über eine Erhöhung des Bußgelds von 60 auf 100 Euro nach. Bei Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer soll auch ein Fahrverbot möglich sein. Zu Begründung heißt es laut Medienberichten, die derzeitige Regelung werde "nicht ernst genommen". Dass die Erhöhung der Geldbuße allein eine deutliche Verhaltensänderung bewirken wird, glauben jedoch nur wenige Experten. Ein Sanktionieren mit Punkten in Flensburg und ein Abschrecken mit Fahrverboten hingegen könnte wirken. Auch die Anordnung zur Nachschulung bei wiederholter Missachtung und die Behandlung des Themas schon in die Fahrausbildung wird aktuell diskutiert, zuletzt etwa auf dem jährlich stattfindenden Verkehrsgerichtstag in Goslar.

Neben Einsicht und Aufsicht kommt aber auch der Technik eine wichtigere Rolle zu. Apple etwa führt bei seinem neuesten Handy-Betriebssystem eine "Nicht stören"-Funktion ein, die sich automatisch aktiviert, sobald der Nutzer im Auto sitzt. Dann werden Push-Nachrichten unterdrückt, ohne dass das Smartphone komplett vom Netz genommen werden muss – Telefonieren per Freisprechanlage bleibt möglich. Ob der Fahrer die Funktion nutzen will, bleibt aber ihm selbst überlassen. Bevormundung gibt es keine. Denn ganz freiwillig führt Apple den neuen Modus wohl nicht ein; der Konzern reagiert damit auf den massiven Druck von Verbrauchern und Verbänden in den USA, wo die Ablenkungs-Diskussion noch schärfer geführt wird als hierzulande – auch weil die Verkehrstotenzahlen dort zuletzt stark gestiegen sind.

Die nationale Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA hat daher die Einführung eines „Auto-Modus“ gefordert, der die Handynutzung am Steuer komplett verhindert. Mit Zwang durchsetzen will die Behörde eine derartige Technik jedoch zunächst nicht. Immerhin reagieren nun neben Apple auch die anderen Smartphone-Anbieter. Konkurrent Google etwa bietet mit "Android Auto" einen speziellen Handy-Betriebsmodus für Autofahrer an – mit reduzierten Funktionsumfang, extra großen Tastflächen und vereinfachter Grafik.

Komplizierte infotainment-Systeme

Stoppen wird das die Ablenkung wohl nicht. Auch, weil Push-Nachrichten und soziale Medien längst nicht die einzige Störquellen im modernen Auto sind. Schon die Infotainment-Systeme sind in vielen Neuwagen so kompliziert geraten, dass sie mit ihrem immer weiter wachsenden Funktionsumfang mehr Fahrer-Aufmerksamkeit beanspruchen als gut ist. Die Autohersteller steuern bereits dagegen: Etwa mit immer besserer Sprachsteuerung, übersichtlicheren Anzeigesystemen und Head-up-Displays, die die Informationen von Navi und Co. direkt auf die Windschutzscheibe und damit ins Blickfeld der Fahrer projizieren. Nicht zuletzt wächst die Leistungsfähigkeit der Assistenzsysteme, die die Fehler und die Unkonzentriertheit der menschlichen Fahrer zunehmen besser ausbügeln. So erkennen viele Notbremsassistenten mittlerweile nicht nur andere Autos, sondern auch Fußgänger und Radfahrer.

Die Mischung aus Kampagnen, schärferen Sanktionen und technischen Maßnahmen soll zumindest mittelfristig die Zahl der Ablenkungs-Unfälle senken. Und so auch beim Ziel helfen, die Zahl der Verkehrstoten auf Europas Straßen auf null zu senken. Langfristig könnte sich die Sache mit der Ablenkung eh erledigen. Denn wenn erst einmal ein Großteil der Autos autonom fährt, kann der Mensch in aller Ruhe Handynachrichten schicken und den richtigen Radiosender einstellen.


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