24.08.2018
   

New Mobility

Autonomes Fahren zum Nachrüsten

Nachrüstbare Sensoreinheiten sind relativ sperrig und anfällig.

Von Holger Holzer/SP-X

Bis autonome Autos menschlich gesteuerte komplett von der Straße gedrängt haben, dürften noch Jahrzehnte vergehen. Ein wenig mehr Tempo könnte die Entwicklung durch Selbstfahr-Technik zum Nachrüsten aufnehmen. Die Autonomisierung für alle ist vielleicht bereits in naher Zukunft verfügbar. Doch noch gibt es Hindernisse.

Eigentlich hätte es einen Roboter-Nachrüstsatz für den eigenen Wagen schon längst geben sollen. Bereits 2016 hatte das amerikanische IT-Unternehmen Comma.ai ein Technikpaket zur Serienreife entwickelt, mit dem sich moderne Pkw für kleines Geld in noch modernere, autonome Autos verwandeln lassen sollten. Kernelement war eine Kamera, die an der Stelle des Rückspiegels montiert wird und die über eine Schnittstelle zum Radarsystem des Basisfahrzeugs verfügt. Video und Radardaten zusammen sollten dem Auto quasi Augen geben und es zum selbstständigen Fahren befähigen. Zur Markteinführung kam es dann allerdings doch nicht: Kurz vor Auslieferungsstart meldete sich die US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA mit einem Fragebogen bei Comma.ai. Dieser verlangte Auskunft zu Aufbau, Sicherheit und Testverfahren des Geräts. Comma.ai wollte oder konnte nicht antworten und verzichtete auf den Verkauf.

Am Beispiel eines der Pioniere der Roboter-Nachrüstung lässt sich bereits erkennen, was das Hauptproblem der Retrofit-Technik werden dürfte: Die Sicherheit, bei jeden individuellen Auto zu funktionieren und auch gegen Fehlbedienungen seiner Nutzer immun zu sein. Und das ganze muss dann auch noch den Zulassungsbehörden vorgelegt und von diesen akzeptiert werden. Comma.ai ist allerdings bei weitem nicht das einzige Unternehmen, das versucht, gebrauchte Autos zu Robotermobilen zu machen. Und sie mindestens auf die noch nicht einmal bei Neuwagen ab Werk verfügbare Automatisierungs-Stufe Level 3 zu heben.

Berliner Startup hat Nachrüst-System präsentiert

In Deutschland hat vor kurzem das Berliner Startup Kopernikus sein Nachrüst-System für autonomes Fahren präsentiert. Der Aufwand übertrifft den des Comma.ai-Ansatzes deutlich: Unter anderem gibt es statt einer gleich sieben Kameras, dazu werden mehrere bordeigene Sensoren des Autos angezapft. Diese Arbeitsteilung soll für niedrige Kosten sorgen: Wer rund 3.000 Euro übrig hat, kann das System bereits heute bestellen. Ausgeliefert wird es allerdings erst, wenn die Entwicklung abgeschlossen ist und alle Zulassungen vorliegen. Wann das sein wird, ist noch unklar. Vor dem kommenden Jahrzehnt dürfte es aber kaum der Fall sein. Ein ähnlicher Zeitplan gilt für den Nachrüstsatz der kanadischen Firma X-Matik Lane Cruise, der auch für ältere Autos geeignet sein soll. Als Sensoren reichen den Entwicklern zwei Kameras für die Umfeldbeobachtung, die Lenk-, Brems- und Gasbefehle werden über nachgerüstete Elektromechanik-Bausteine auf Steuer und Pedalerie übertragen. Der anvisierte Zielpreis liegt bei umgerechnet rund 2.500 Euro.

Wie die Verkehrssicherheitsbehörden die Zuverlässigkeit der Technik einschätzen, um ihr einen Freibrief für den Einsatz auf öffentlichen Straßen zu geben, bleibt abzuwarten. Im Fall von Comma.ai zeigte sich die NHTSA vor rund zwei Jahren auf jeden Fall alarmiert und flankierte den 15-punktigen Fragenkatalog mit der Androhung einer Zivilstrafe bei Nichtbeantwortung in Höhe von 21.000 Dollar pro Tag. Klärung verlangte die Behörde in zahlreichen Punkten. So sollte sich Comma.ai etwa zur Befestigung im Fahrzeug äußern, ein wichtiger Punkt nicht zuletzt bei der Kalibrierung des Systems. Die Erschütterungen während der Fahrt dürfen beispielsweise nicht dazu führen, dass die Kamera verrutscht und falsche Positions- und Umfeld-Informationen an den Fahrcomputer liefert. Auch Infos zum Verhalten der Technik bei Sensorproblemen, Systemausfällen und Fehlbedienungen sollten beigebracht werden.

Größere Chancen bei Autokonzernen und Mobilitätsdienstleistern

Größere Chancen als auf dem Privatkundenmarkt haben Nachrüst-Anbieter angesichts der nicht zuletzt kostspielig zu überwindenden rechtlichen Hürden daher möglicherweise zunächst bei Autokonzernen und Mobilitätsdienstleistern. Diesen Weg ist beispielsweise das US-Start-up Cruise Automation gegangen. Gegründet 2013, hatte man zunächst den umrüstwilligen Privatkunden im Visier, den man mit Autopilot-Kits für sein Auto versorgen wollte. Bald jedoch änderte sich die Strategie und man nahm die Autohersteller als ersten Abnehmer in den Fokus. 2016 wurde Cruise mit seinem wertvollen Knowhow fast folgerichtig von General Motors übernommen. Die Nachrüstsätze der Kalifornier kommen nun in der konzerneigenen Testflotte vollautomatisierter Robotermobile zum Einsatz – in Form voluminöser und recht unansehnlicher Sensorpakete auf dem Fahrzeugdach. Für den Privatkunden wäre ein solcher Radar-Trumm schon ästhetisch wenig ansprechend. Hinzu käme das Problem von Justierung und Wartung.

Für den Privatkundenmarkt dürften daher zunächst weniger komplexe Nachrüstsysteme zum Einsatz kommen. Also erst einmal Spurhalteassistenten oder Abstandswarner statt vollautomatisierter Autopiloten. Oder Vernetzungs-Funktionen statt autonomer Fahrmodi. Der erste Schritt ist übrigens bereits gemacht. So bietet etwa VW seit kurzem die Möglichkeit, bis zu zehn Jahre alte Fahrzeuge per "Data Plug"-Datenstecker zu vernetzten Smart Cars zu machen. Die Wolfsburger sind damit der erste Autohersteller mit solch einer Lösung, die es bislang nur bei Dritten gab. Selbstständig fahren können die mit dem Internet verbundenen VW-Autos allerdings noch lange nicht.


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